Hightech in der Antarktis
Neumayer III – die neue Forschungsstation in der Antarktis gilt als „Wunderwerk deutscher Ingenieurskunst“, so Bundesforschungsministerin Annette Schavan. Gestemmt hat den Koloss „Goliath“ – allein die Stahlkonstruktion im Eis wiegt 1400 Tonnen – mit viel Mut, Kraft und Durchhaltevermögen ein „David“, ein mittelständischer Familienbetrieb aus Bersenbrück – die Wurst Stahlbau GmbH.
Für die Wurst Stahlbau GmbH ging es im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst, denn, so betonte es Geschäftsführer Christian Wurst: „Erfahrungswerte gab es nicht.“ In der Rückschau wird im niedersächsischen Bersenbrück noch einmal darauf hingewiesen, dass der Bau von Neumayer III für den finanzstarken „David“ die „risikoreichste und technisch anspruchsvollste Unternehmung seit Gründung des Betriebes 1966 von Hildegard und Friedmut Wurst“ war.
Ohne Fremdhilfe geschafft. Nicht ohne einen gewissen Stolz heißt es weiter, dass der 166-Mann-Betrieb diesen zuvor nie gewagten Hightech-Stahlbau im Polareis kraft eigener Anstrengung gepackt hat – ohne Fremdhilfe und ohne Hilfe von Banken. Schließlich wurde die im Auftrag des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung errichtete, insgesamt 39 Millionen Euro teure Forschungsstation Neumayer III im April fertig gestellt. Jetzt können sich die Forscher unbehindert auf einer Fläche von 1850 Quadratmetern bei einer Raumtemperatur von 20° Grad auf ihre Langzeitmessungen im Bereich globaler Klimaveränderungen konzentrieren, u.a. beim Zerfall der Ozonschicht.
Immer der gleiche Abstand. 16 hydraulische Stützen heben die 68 m lange zweigeschossige Wohn- und Forschungsstation, damit sie nicht im Schelfeis versinkt. Die 200 m dicke Schicht im Schelfeis fließt ähnlich einem Gletscher dem Meer entgegen. Und die Schneehöhe wächst pro Jahr um ca. einen Meter an. Die Stützen gewährleisten, so die Experten, dass die Station angehoben werden kann und immer den gleichen ca. 5 m hohen Abstand zur Eisoberfläche hat. Die geplante Betriebsdauer betrage 25 – 30 Jahre – mehr als das Doppelte der bisherigen Nutzung.
Für die sieben, letztlich überdurchschnittlich hoch honorierten Bersenbrücker Monteure bedeutete der Polareinsatz im insgesamt 70köpfigen Team, beeindruckende körperliche und mentale Herausforderungen in der wohl unwirtlichsten Gegend der Welt zu bestehen – bei mitunter minus 47° Grad und Stürmen, die zu großen Schneeverwehungen führten.
Drei Monate hatte zuvor die Fertigung der Superkonstruktion im Werk gedauert. Nach weiteren rund dreieinhalb Monaten in der Antarktis hatte das zuvor auch psychologisch geschulte Team der Wurst Stahlbau GmbH ganze Arbeit geleistet. Und die 13.718 km (Luftlinie) lange Heimreise nach Niedersachsen angetreten.
Ganzjährig besetzt. Neumayer III ist schon die dritte Forschungsstation, die das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut auf dem Elkström-Schelfeis unterhält. Die Station trägt den Namen Georg von Neumayers (1826-1909), der die deutsche Südpolarforschung damals kräftig unterstützt hat. Bereits seit 1981 hält das AWI ganzjährig besetzte Forschungsstationen in der Antarktis in Betrieb. Die seit 1991 betriebene, bisherige Station Neumayer II hatte dem Druck der Schneemassen nicht länger Stand gehalten und musste aufgegeben werden. 2007/2008 wurde daher mit dem Bau der neuen Station begonnen.
Ausschreibung gewonnen. Begonnen hatte für die Wurst Stahlbau GmbH alles 2004 mit einer Anfrage der Firmengruppe J.H. Kramer. Prompt folgte das sorgfältige Angebot der Gebrüder Michael, Thomas und Christian Wurst. 2007 gewannen die Bersenbrücker die Ausschreibung. Der Auftrag lautete: 1400 Tonnen-Stahlkonstruktion bauen, in 128.000 Teile zerlegen, durchnumerieren und an den Kai von Bremerhaven liefern.
In Bersenbrück blicken die Verantwortlichen zurück: Als das Frachtschiff im November 2007 am Kai von Bremerhaven ablegte, hatte Wurst bereits einen hohen Selbstfinanzierungsanteil geleistet. Mittlerweile herrschte akuter Rohstoffmangel und die Stahlpreise waren um ein Vielfaches gestiegen. Eine Quersubventionierung gelang durch den Montageauftrag. Unter dem Strich blieb am Ende ein Non-Profit-Geschäft mit schwarzer Null. Doch in der Geschäftsleitung war man sich einig: Das Prestigegeschäft war wichtiger als der Gewinn.
Ständig Anfragen. Und wie denkt man heute? Die Geschäftsleitung bringt es auf den Punkt: „Neumayer III bedeutet einen unschätzbaren Zugewinn an Prestige und bringt dem Familienunternehmen ständig Anfragen für neue Großaufträge ein. Mit dem Einsatz von Eigenkapital haben wir uns Wettbewerbsvorteile gesichert, die sich in der Krise auszahlen.“
Die Branche verzeichnet nach Auskunft von Insidern bereits den größten Auftragsrückgang seit 1945. Indikator ist der deutsche Stahlbaumarkt. Der Branchenumsatz im Stahlbau betrage ca. 15 Mrd. Euro, davon entfielen 80% auf Konstruktionen. Das Auftragsvolumen wird, so die Fachleute weiter, in diesem Jahr um 23% sinken (2008 waren es 2,2 Mio. t; für 2009 sind 1,7 Mio. prognostiziert). Die Wurst Stahlbau GmbH, die – um sich eine bevorzugte Auftragsannahme zu sichern - vorausschauend die Beteiligung an einer Verzinkerei umsetzte, verbraucht 15.000 t Stahl pro Jahr.
Fazit. Für die Wurst Stahlbau war es ein kräftezehrender Aufstieg in den Olymp der Stahlbauer. Aber, das Risiko und der Einsatz haben sich gelohnt, wiederholen die Gebrüder Wurst unisono in klaren Worten: für die Akquise von Neuaufträgen.
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