Jochen Eisenbeis, Insolvenzverwalter
„Die Stunde der Stundungsverhandler“Aktuell müssen viele Metallbaubetriebe Umsatzrückgänge verkraften. Um trotz rückläufiger Aufträge und sinkender Margen zahlungsfähig zu bleiben, ist ein gutes Liquiditätsmanagement gefragt. Der Saarbrücker Wirtschaftsanwalt und Insolvenzverwalter Jochen Eisenbeis gibt Tipps, wie Unternehmer die Corona-bedingte Krise überstehen.
metallbau: Herr Eisenbeis, wie ist es um die Branchen Feinwerkmechanik und Metallbau aktuell bestellt?
Jochen Eisenbeis: Deren Bundesverband hat Ende Juni mitgeteilt, dass in der Sparte Feinwerk drei Viertel der Betriebe weniger Umsatz haben, davon 16 Prozent einen Rückgang um 70 Prozent; und je 19 Prozent ein Minus von 60 bzw. 30 Prozent. Bei den Metallbauern verzeichnet ein gutes Drittel der Betriebe einen Rückgang: Bei 29 Prozent der Befragten liegt er bei 30 Prozent, bei einem knappen Fünftel bei 20 Prozent und zwölf Prozent sprechen von zehn Prozent Minus.
metallbau: Und Ihre persönliche Einschätzung?
Eisenbeis: Das Metallhandwerk steht in Summe deutlich besser da als etliche andere Gewerke. Ich kenne aber auch Automobilzulieferer, die seit drei Monaten keinen einzigen neuen Auftrag hereinbekommen haben. Das wahre Ausmaß der Corona-Krise wird derzeit noch übertüncht von den großzügigen Förderprogrammen der Bundes- und Landesregierungen, die viel Geld in das System pumpen. Hinzu kommen die Aussetzung der Corona-bedingten Zahlungsunfähigkeit und weitere Maßnahmen, die letztlich alle auf Zeit und das Prinzip Hoffnung setzen.
metallbau: Wie hält sich ein Metallhandwerker in diesem Umfeld liquide?
Eisenbeis: Jetzt ist die Stunde der Stundungsverhandler. Denn alles, was ich jetzt nicht bezahlen muss, hält mich morgen liquide. Ob das Mieten, Leasingraten, Servicepauschalen oder andere Verbindlichkeiten sind – mit all diesen Vertragspartnern können Betroffene nun verhandeln. Dabei ist die Stundung die unterste Stufe. Steigerungsformen heißen Teilverzicht und Verzicht. Und alle drei Varianten sind legitime Optionen. Das Gegenüber bekommt im Gegenzug die Option, auch nach der Krise einen verlässlichen Mieter oder Ratenzahler zu haben, mit dem es Geschäfte machen kann.
metallbau: Wie lauten weitere Werkzeuge, liquide zu bleiben?
Eisenbeis: Dasselbe gilt für die Finanzverwaltung, also Einkommens-, Körperschafts- und/oder Gewerbesteuer stunden und Vorauszahlungen aussetzen. Und mit den Sozialversicherungsträgern kann man über deren Beiträge reden. In all diesen Gesprächen sollte der Unternehmer unbedingt auf Corona-bedingte Verluste hinweisen und diese offenlegen. Denn auch Staat und Sozialpartner haben kein Interesse, die Kuh zu schlachten, die im Regelfall Milch gibt.
metallbau: Was kann der Unternehmer auf der Einnahmeseite tun?
Eisenbeis: Im Idealfall arbeitet er gegen Vorkasse oder geht nicht zu weit in Vorleistung. Das ist gut begründbar. Denn auch viele Partner stecken Corona-bedingt in Schwierigkeiten und alle Beteiligten brauchen Verlässlichkeit und Rechtssicherheit. Jeder bekommt Probleme, wenn ein Partner pleitegeht. Meist ist ja bereits in Verträgen geregelt, wer was bis wann zu bezahlen hat. Aber auch dann gilt, solche Verträge möglichst zu den eigenen Gunsten nachverhandeln. Das ist nicht unseriös, sondern legitim – angesichts der Ausnahmesituation.
metallbau: Welche Rolle spielen die Lieferanten?
Eisenbeis: Da gilt dasselbe. Auch hier kann der Unternehmer nachverhandeln und etwa längere Zahlungsziele vereinbaren oder zusätzliche Rabatte. Denn auch der Lieferant hat ein Interesse, dass die Wertschöpfungskette nicht reißt. Notfalls operieren beide Seiten via Factoring, das nochmals Zeit und Liquidität puffert. Zusätzliches Leasing verschafft auch Luft. So kann eine bereits schuldenfreie Maschine in Zahlung gegeben und zurückgeleast werden. Und nicht zu vergessen ist auch die Bundesagentur für Arbeit, die via Kurzarbeitergeld bei den Personalkosten befristet massiv entlasten kann.
metallbau: Das ist ein ziemliches Bündel an Optionen und Stellschrauben. Was würden Sie sagen, steht über allem?
Eisenbeis: Alles tun, damit Lieferketten nicht reißen und Kundenbeziehungen nicht beschädigt werden. Das ist allein schon wichtig, um etwaigen Konventionalstrafen vorzubeugen. Wenn Sie Ihrem Kunden beispielsweise frühzeitig avisieren, es könne sein, dass Sie Corona-bedingt nicht wie vereinbart liefern können, glaubt er Ihnen eher bei Verzögerungen oder billigt diese sogar aktiv zu, als wenn er damit schlagartig konfrontiert wird. Deshalb ist es hilfreich, das eigene Bemühen um Vertragskonformität zu dokumentieren. Wenn also Maschinenkomponenten aus Italien wegen Corona-bedingt geschlossener Grenzen oder dort untersagter Produktion erst gar nicht geliefert werden, stiftet der frühzeitige Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit, eine Deadline nicht halten zu können, Glaubwürdigkeit – eine Währung so wichtig wie Geld. Die schlechte Alternative ist, zu zocken, dass alles gut gehen möge, der Kunde die Verzögerung nicht bemerkt, duldet oder zumindest nicht beanstandet. Das ist naiv und nicht kollegial.
metallbau: Kann es klug sein, proaktiv in Insolvenz zu gehen?
Eisenbeis: Viele Unternehmer machen den Fehler, ihr letztes Geld ins marode Unternehmen zu stecken. Deshalb ist es tatsächlich manchmal klüger, auch um Arbeitsplätze und Lieferketten zu erhalten, früher in Eigeninsolvenz zu gehen. Unter einem solchen Schutzschirm kann man sich in Eigenregie mit Gläubigern vergleichen, im Idealfall deutlich entschulden und danach mit frischem Geld den Betrieb von Schulden entlastet fortführen.
metallbau: Für wie wichtig halten Sie Psychologie in diesen Zeiten?
Eisenbeis: Psychologie ist immer die Hälfte des Erfolgs. In diesen Zeiten ist sie definitiv noch wichtiger. Deshalb kommt es auf den Zungenschlag der Kommunikation an: Um Kulanz zu erlangen, ist Transparenz eine wichtige Voraussetzung. Dem Partner sollten alle wirtschaftlich relevanten Fakten offengelegt werden, damit er das Anliegen des Bittstellers sachlich nachvollziehen kann.
Zur Person
Jochen Eisenbeis hat 1991 seine Kanzlei in Saarbrücken gegründet. Heute umfasst sie fünf Partner in den Bereichen Insolvenz- und Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, Bau-, Architekten- und Vergaberecht. Von den gut 50 Mitarbeitern sind 16 Rechtsanwälte, darunter etliche Fachanwälte. Da die Sozietät bundesweit Mandanten berät, oft dauerhaft und in allen juristischen Belangen, hat sie in Ulm eine Dependance.