Rechtsverbindlichkeit von Normen
Prof. Christian Niemöller im InterviewProf. Niemöller, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, macht im Gespräch mit Stefanie Manger klar, unter welchen Umständen Normen rechtsverbindlich gelten und ob Metallbauer ab Juli 2014 Leistungen des Normbereichs EN 1090 noch verkaufen dürfen, wenn sie dafür nicht zertifiziert sind.
metallbau: Halten Sie es für zwingend, dass der Unternehmer die Normen seines Bereichs im Original kennt und vorliegen hat? Der Vertrieb erfolgt ja ausschließlich über den Beuth-Verlag, und so ein Monopol ist immer ärgerlich.
Christian Niemöller: Meinem Verständnis nach kann ein Unternehmer sich nur dann mit den Vorgaben einer Norm beschäftigen, wenn ihm diese auch tatsächlich vorliegt. Werden beispielsweise bestimmte Vorgaben in der Sekundärliteratur verkürzt oder fehlerhaft dargestellt, kann sich der Unternehmer hierauf nicht berufen. Man kann und darf von ihm die Kenntnis der maßgeblichen Normen verlangen.
metallbau: Die Normen für den Metallbau sind inzwischen so umfassend, dass einem Unternehmen mit zehn Mitarbeitern geraten wird, einen Techniker für die Normen abzustellen. Halten Sie das für übertrieben?
Niemöller: Ob ein Techniker gesondert mit diesen Aufgaben betraut werden muss, hängt letztlich vom jeweiligen Unternehmen ab. Sicher ist, dass ein verantwortlicher und sachkundiger Mitarbeiter beschäftigt werden muss, der sich mit den aktuellen Normen auskennt und sich auf dem Laufenden hält. Dies erachte ich nicht für eine übertriebene Anforderung, da es letztlich zum Beruf eines Metallbauers gehört, sich mit den Vorschriften seines Bereichs zu beschäftigen. Dies ist in anderen Bereichen und Berufen nicht anders.
metallbau: Unter welchen Umständen gelten die DIN- beziehungsweise EN- Normen rechtsverbindlich?
Niemöller: DIN EN Normen sind verbindlich zu beachten, wenn sie ausdrücklich im Vertrag vereinbart wurden und/oder die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Zunächst enthalten DIN EN Normen technische Empfehlungen, die nicht ohne Weiteres rechtlich verbindlich sind. Im zivilrechtlichen Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer eines Werkvertrages ist aber Folgendes zu beachten: Der Auftragnehmer schuldet grundsätzlich ein mangelfreies Werk. Das heißt, anerkannte Regeln der Technik müssen eingehalten werden. Das sind solche bautechnischen Regeln, die in der Wissenschaft als theoretisch anerkannt worden sind und die sich in der Praxis bewährt haben. DIN EN Normen können diese Regeln wiedergeben oder hinter ihnen zurückbleiben, so die Rechtsprechung des BGH. Bei Beachtung der DIN EN Normen wird jedoch zunächst vermutet, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik erfüllt sind; diese Vermutung kann dann im Einzelfall widerlegt werden. Vereinbaren Auftraggeber und Auftragnehmer im Vertrag die Einhaltung einer Norm, muss diese zwingend beachtet werden. Im Übrigen müssen die anerkannten Regeln der Technik beachtet werden. Entspricht eine Ausführungsvariante diesen Regeln, kann ein Werk auch dann mangelfrei sein, wenn es der entsprechenden Norm nicht entspricht. Der Vorteil einer ausdrücklichen Vereinbarung liegt darin, dass es der Rechtssicherheit dient, wenn die Grundlagen des Vertrages bzw. der Ausführung zweifelsfrei feststehen. Die Frage nach der Rechtsverbindlichkeit von DIN EN Normen stellt sich im Übrigen nicht nur im zivilrechtlichen Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, sondern ist auch aus bauordnungsrechtlicher Sicht von Bedeutung.
metallbau: Wie verhält es sich mit der Rechtsverbindlichkeit aus bauordnungsrechtlicher Sicht?
Niemöller: Die Landesbauordnungen schreiben vor, dass (lediglich) die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als technische Baubestimmung eingeführten technischen Regeln zu beachten sind. Ob eine DIN EN Norm bauordnungsrechtlich verbindlich einzuhalten ist, hängt somit nicht davon ab, ob sie die anerkannten Regeln der Technik wiedergibt; entscheidend ist, ob die Norm als technische Baubestimmung eingeführt wurde, wobei die Länder die Listen der eingeführten technischen Baubestimmungen regelmäßig veröffentlichen.
metallbau: Welcher Unterschied besteht zwischen DIN EN Normen und der Bauproduktenverordnung mit Blick auf die Rechtsverbindlichkeit?
Niemöller: Die Bauproduktenverordnung genießt in allen Mitgliedsstaaten der EU den Status eines unmittelbar geltenden Gesetzes. Im Gegensatz zu den DIN EN Normen weist sie damit Rechtsnormqualität auf und ist grundsätzlich zu beachten.
metallbau: Die EN 1090 enthält zahlreiche Verweise auf andere Normen – man sagt mehr als 200. Ich habe sie nicht gezählt. Wenn die EN 1090 zu beachten ist, muss der Unternehmer dann auch diese anderen Normen kennen?
Niemöller: Alle DIN EN Normen enthalten üblicherweise „normative Verweisungen“ auf andere Regelwerke, die über bzw. wegen der entsprechenden Verweisung auch zu beachten sind. Dies gilt ebenso für die EN 1090, die unter Ziffer 2 wörtlich klarstellt, dass die weiteren Normen „für die Anwendung dieses Dokuments erforderlich“ sind.
metallbau: Ist es in aller Härte richtig, dass ein Metallbauunternehmen, das nicht für die DIN EN 1090 zertifiziert ist, seine Leistung in diesem Normbereich ab Juli 2014 nicht mehr verkaufen kann? Zumindest für Aufträge (z.B. Treppen) für Privatkunden dürfte es doch ohne Zertifizierung weitergehen?
Niemöller: Die vorrangige Frage ist, ob der Anwendungsbereich einer Norm eröffnet und die Einhaltung der Norm geschuldet ist. Werden beide Fragen bejaht, muss die Anwendung einheitlich erfolgen; ein Spielraum existiert dann nicht. Soweit Ausnahmen für „Härtefälle“ gerechtfertigt erscheinen, müssen diese in der Norm verankert sein bzw. im Rahmen von Normungsarbeit berücksichtigt werden. Mit Blick auf den Ablauf der Übergangsfrist der neuen EN 1090 (DIN EN 1090-1:2009+A1:2012-02) am 01.07.2014 möchte ich daran erinnern, dass die Übergangsfrist der Vorgängernorm (DIN EN 1090-1:2010-07) bereits abgelaufen ist und dass auch die für die Wirtschaftsakteure maßgeblichen Vorschriften der Bauproduktenverordnung bereits am 01.07.2013 in Kraft getreten sind. Metallbauer, die Stahlbau- und Aluminiumbauteile nach DIN EN 1090 herstellen und in den Verkehr bringen, müssen ihre Produkte auf der Grundlage der Bauproduktenverordnung bereits seit dem 01.07.2013 mit einer Leistungserklärung und einem CE-Zeichen versehen.
metallbau: Und jetzt nochmal die Gretchenfrage, darf er verkaufen oder nicht?
Niemöller: Ein Metallbauunternehmen darf seine Leistung im Normbereich der EN 1090-1 nur dann auf dem Markt bereitstellen, wenn eine Zertifizierung der werkseigenen Produktionskontrolle und eine laufende Fremdüberwachung erfolgt ist. Das ergibt sich aus dem Anhang ZA.2 und ZA.3 der Norm. Diese Zertifizierung ist Bestandteil des Systems zur Überprüfung und Bewertung der Leistungsbeständigkeit, das unter Geltung der „alten“ Bauproduktenrichtlinie noch als Konformitätsverfahren bekannt ist. Dieses ist wiederum Voraussetzung für die Leistungserklärung und die CE-Kennzeichnung.
metallbau: Wie steht es um die Verglasungsrichtlinien TRAV, TRPV und TRLV? Sind diese rechtlich verbindlich einzuhalten?
Niemöller: Die technischen Regeln für die Verwendung von absturzsichernden Verglasungen (TRAV), von linienförmigen Verglasungen (TRLV) und für die Bemessung und die Ausführung punktförmig gelagerter Verglasungen (TRPV) wurden vom DIBt veröffentlicht und als Technische Baubestimmungen eingeführt. Aus bauordnungsrechtlicher Sicht ist die Einhaltung dieser Regeln damit verbindlich zu beachten. Soweit sie auch die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, gilt dies ebenso für das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer.
metallbau: Ändert sich daran etwas, wenn die Verglasungsrichtlinien in die DIN 18008 integriert sind?
Niemöller: Wenn die genannten Richtlinien in die DIN 18008 integriert werden, ändert sich hieran nichts, da die Normenreihe DIN 18008 ebenfalls baurechtlich eingeführt werden soll und weiterhin die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben kann.