Seminarbesuch zur DIN 18008
Software ersetzt nicht den StatikerDie Glasdimensionierung wird nach der DIN 18008 komplizierter, jedoch auch genauer und sicherer – so das Fazit einer Softwareschulung von MKT, an der Fachredakteurin Ulrike Hensel teilnahm. Gemäß der neuen Norm muss öfters gerechnet werden, Erfahrungswerte gelten nicht mehr. Der Mehraufwand ist nur mit Computer-Programmen zu bewältigen. Was sich für Glasverarbeiter ändert und wie die Branche darauf reagiert, lesen Sie im folgenden Bericht.
Im Rahmen der europäischen Harmonisierung von Bauprodukten wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Normen komplett überarbeitet. In Konsequenz wurde auch die Glasdimensionierung mit der DIN 18008, Teil 1-5 auf eine neue statische Berechnungsgrundlage gestellt.
Ziel sind einheitliche europäische Produkt- und Bemessungsregeln nach einem Eurocodekonformen Sicherheitskonzept. Bei anderen Baustoffen wie Holz, Beton, Stahl ist dies schon längst üblich. Der bisher erforderliche Spannungs- und Durchbiegungsnachweis für Glas wird jetzt durch sogenannte Teilsicherheitsbeiwerte ersetzt. Sie beziehen sich auf der Einwirkungsseite auf die Beanspruchungen und auf der Widerstandsseite auf die Materialparameter. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Bestimmung der statisch notwendigen Glasdicke und trifft für alle Arten von Verglasungen zu. Die völlig neue Bewertung und Berechnung nach der DIN 18008 erfordert ein Umdenken bei den Glasverarbeitern und -monteuren. Erfahrungswerte, alte Statiktabellen oder schnelle Überschlagsrechnungen gelten nicht mehr. Die jetzt rechtlich geforderten Berechnungen nach DIN 18008 sowie die vorzulegenden Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeits-nachweise lassen sich am einfachsten, wie auch in anderen Gewerken am Bau, mit qualifizierter Software darstellen.
Keine Verjährung für bauliche Illegalität
Das Unternehmen MKT bietet Praxisseminare zur neuen Glasbemessungsnorm DIN 18008. Eching bei München war eine Station, wo sich zehn Teilnehmer über die aktuellen Anforderungen und gesetzlichen Erfordernisse informierten. Zu den letzten sechs Veranstaltungen kamen durchschnittlich zwischen 10 und 20 Teilnehmer. Das ist angesichts der Brisanz der Norm nicht gerade viel. Das Gros der Teilnehmer kam aus glasverarbeitenden Bereichen des Metall- und Holzhandwerkes sowie aus Ingenieurbüros. „Vielfach sind sich die Glasfachleute noch nicht darüber im Klaren, dass sie die Sicherheitsnachweise der Glasverbauungen ab sofort sowohl den Baubehörden als auch den Kunden gegenüber schriftlich dokumentieren müssen“, sagt Seminarleiter Norbert Wunderlich und betont: „Bauausführungen, die sich nicht an der DIN 18008 orientieren, sind illegal und kennen deshalb keine Gewährleistungsfristen, sind also langfristige Reklamationspotenziale mit zivilrechtlicher Relevanz. Bauliche Illegalität verjährt nicht, und der Kunde braucht nicht nur nicht zu zahlen, sondern kann auch noch nach Jahren auf Austausch bestehen.“
Vor diesem Hintergrund scheint es unverständlich, dass in Glasfachkreisen zum Teil heftige Widerstände gegen die aktuelle Norm gepflegt werden. Laut MKT Geschäftsführer Robert Rinkens werden viele Verglasungen weiterhin nach den alten Vorgehensweisen ausgeführt und sind damit nicht DIN-konform. Doch der Glasausführende steht dem Kunden gegenüber immer in der Verantwortung und wird bei Rechtsstreitigkeiten alleinig herangezogen. „Jede neu verbaute und – da es keinen Bestandsschutz gibt – auch jede auszutauschende Verglasung muss die aktuelle DIN erfüllen. Lediglich an bereits ausgeführten Verglasungen besteht kein Nachbesserungsbedarf“, erklärt Wunderlich.
Kleine Betriebe leiden besonders unter Mehrbelastung
Unter den Seminarteilnehmern in Eching waren einige, die bereits mit der Glastik-Software von MKT arbeiten, andere wollten sich aufgrund der neuen bau- und zivilrechtlichen Anforderungen über die Möglichkeiten des Programms informieren. Nach der sechsstündigen Schulung waren sich alle Teilnehmer einig: Die DIN-konforme Berechnung von Glasdicken ist so umfangreich und anspruchsvoll geworden, dass sie zweckmäßig nur noch mit einer Glasstatik-Software durchführbar ist. Obwohl bis dato für die allermeisten Glasprojekte ebenfalls Berechnungen erforderlich waren, die von vielen Betrieben bereits mit Software-Unterstützung gemacht wurden, sind die Berechnungen durch die jetzt notwendigen detaillierten Angaben zum Bauprojekt sehr komplex. „Das hat aber den Vorteil“, sagt Seminarteilnehmer Robert Kolleth vom Glasveredler Joh. Sprinz, „dass die Angebote vergleichbarer werden. Angaben zum Standort, zur Gebäudeform, zu Klimadaten mit Wind- und Schneelasten lassen nun eine sehr genaue Glasdickenberechnung zu.“ Er wünscht sich sogar, dass Architekten künftig die Glasdicken vorgeben, denn „dann würden die Kalkulationen bereits in der Angebotsphase noch besser vergleichbar sein.“
Trotzdem wird am Ende des Tages Kritik laut: Nicht die Anschaffung einer Software ist das Problem, sondern die Tatsache, dass mit den nun erforderlichen Berechnungen jedem Glasbauunternehmen und -handwerker ein sehr großer Aufwand ins Haus steht. Viele Betriebe im glasverarbeitenden Handwerk haben weniger als zehn Mitarbeiter, manchmal sind es auch nur zwei oder drei. Für diese ist der Verwaltungsaufwand kaum noch zu stemmen, ist die einhellige Meinung.
Glasermeister Helmut Heubelhuber aus Wurmannsquick, der zur Schulung seine Bürokauffrau Elisabeth Wimmer mitgebracht hat, erklärt: „Wir werden die DIN-Nachweise erbringen, aber der Aufwand ist erheblich. Wir rechnen mit mindestens einer Stunde zusätzlich pro Auftrag.“ Auch Michael Filleböck von Joh. Sprinz und Max Bendner, Inhaber der Glaserei Bendner aus Teisendorf, meinen: „Ohne Software sind die Berechnungen nicht mehr zu bewältigen.“
Bedenklich findet Filleböck die vielen verschiedenen Anforderungen seitens des Gesetzgebers, die auch jeder noch so kleine Handwerksbetrieb nun zu erfüllen hat, und fragt sich, wo das noch hinführen soll. „Für ein größeres Unternehmen, wie das unsrige, sind solche Mehrbelastungen leichter zu stemmen als für kleinere Handwerksbetriebe.“
Als Spezialist für Glasanwendungen aller Art am Bau unterstützt Joh. Sprinz aus Grünkraut deshalb gerne auch Schlossereien oder Schreinereibetriebe bei der Umsetzung von anspruchsvolleren Verglasungsaufträgen. Neben Beratungen werden auch kostenfreie Berechnungen bis hin zur Glasdickenempfehlung nach DIN 18008 übernommen. Gegen Aufwandserstattung kann auch eine Prüfstatik erstellt werden. „Das haben wir früher auch schon gemacht, nur bekommt dies jetzt durch die neue Norm eine besondere Bedeutung“, sagt der staatlich geprüfte Holztechniker Filleböck. Er ist mit seinen Kollegen Robert Kolleth und Mario Wangler bei Sprinz in der technischen Kundenberatung tätig. Dabei führt der Bauingenieur Kolleth die Berechnungen durch und erstellt Prüfstatiken, während Filleböck die Aufträge in technische Zeichnungen umsetzt und Wangler als Industriekaufmann die passenden Angebote erstellt.
Neuerungen durch die DIN 18008
Die DIN 18008 regelt im Teil 2 linienförmig gelagerte Verglasungen und ersetzt die Technische Regel TRLV (im Teil 3: punktförmig gelagerte Verglasungen), TRPV (im Teil 4 absturzsichernde Verglasungen) und TRAV. Weiterhin wird nun zwischen planmäßig begehbaren und kurzzeitig für Reinigungs- und Wartungsmaßnahmen betretbaren Verglasungen unterschieden, was in den Teilen 5 und 6 (bisher im Entwurf) geregelt wird. Mit der DIN 18008 sind auch Kombinationen von Glassorten für Anwendungen zulässig, die früher nur mit einer Zulassung im Einzelfall (ZiE) realisierbar waren. Haltekonstruktionen zur Befestigung am Gebäude oder Glashalteleisten sind nicht Bestandteil der Norm.
Für die statischen Berechnungen sind jetzt sehr viele Parameter wie beispielsweise Gebäudehöhe, -breite, -tiefe, Einbauhöhe der Verglasung, Geländekategorie und Gebäudeart sowie detaillierte Klimadaten mit Wind- und Schneelasten erforderlich. „Der Vorteil ist“, sagt MKT Seminarleiter Wunderlich, „dass durch die Kenntnisse der genauen Lage und Einbausituation der Scheiben sehr genaue Berechnungen der erforderlichen Glasstärke möglich sind.“ Nicht selten sind ja auch geringere Glasstärken machbar, als sie mit früheren Berechnungsverfahren ermittelt wurden. Denn ohne genaue Parameter gingen die Berechnungsprogramme und Tabellen immer von der ungünstigsten Lage aus. Dies führte in der Regel zu dickeren Glasstärken. „Nun sind sogar Kostenvorteile in der Unterkonstruktion und im Glaspreis zu erwarten“, betont er.
Aufwändiger ist allerdings die nicht mehr einfach zu beantwortende, typische Anfrage: „Rechne mir mal schnell eine Glasdicke aus.“ Denn, so merkt ein Seminarteilnehmer treffend an: „Wenn ein Glas ersetzt werden muss, kann so etwas in der Regel nicht warten. Das muss von heute auf morgen getauscht werden, und das ist nach der DIN 18008 nicht mehr einfach so möglich.“ Doch auch wenn sich der Berechnungsaufwand erhöht, wird die Isolierglasberechnung insgesamt genauer, was vermutlich zu weniger Schadensfällen führen wird. Positiv ist auch, dass die Werkstoffe Floatglas, TVG und ESG eine einheitliche Bewertung ihrer unterschiedlichen Sicherheitsniveaus erhalten.
Die Software Glastik
Die Software Glastik wird von MKT in drei Versionen angeboten: „Glastik 1.0 Glaser“ für kleinere, lokal tätige Betriebe, „Glastik 5.0 Standard“ für alle übrigen Betriebe, zur Berechnung von linienförmig gelagerten Verglasungen nach anerkannten Näherungsformeln und „Glastik 3.0 Professional“ für den konstruktiven Glasbau nach der Finiten-Elemente-Methode. „Glastik Standard“ ist für Berechnungen in der breiten Praxis ausreichend und wird vielerorts von den staatlichen Baubehörden bei der Genehmigung statisch unkritischer Projekte anerkannt, „Glastik Professional“ dient zur exakten Glasdimensionierung und für die erforderlichen Statiknachweise über die linienförmige Lagerung hinaus. Grundlegende Statikkenntnisse sind für die Professional-Version erforderlich. Wichtig: Ein Glasfachmann – aber statischer Laie – ermittelt einen Glasdickenvorschlag, ein Statiker hingegen ermittelt mit dem gleichen Werkzeug eine Glasstatik. Die Unterschrift des Statikers hat also bei gleichem Rechenergebnis ein deutliches – auch monetäres – Gewicht.
Am Beispiel einer linienförmig gelagerten Terrassenüberdachung sollen die beiden Rechenmethoden nach TRLV und nach DIN 18008 verglichen werden. Folgende Eckdaten werden dabei angenommen:
Abmaße/Ausführung: 800 x 3.200 mm, zweiseitig linienförmig gelagert, Breitseite bleibt frei, Pultdach, Einbauhöhe Oberkante 3,33 Meter
Glas: VSG, Float/Float
Lage/Klima: Eching b. München, Meereshöhe 469 Meter, Windlastzone 1, Schneelastzone 2, Böengeschwindigkeitsdruck q(z) = 0,54 kN/m²
Gebäudedaten: Höhe 12 Meter, Breite 25 Meter, Tiefe 15 Meter, teilweise geöffnet
Berechnungsergebnisse: Nach TRLV beträgt die berechnete Glasdicke 5/FF/5 mm, nach DIN 18008 beträgt sie 6/FF/6 mm. FF ist die minimale doppelte Foliendicke von 0,76 mm zwischen den Scheiben.
Bei diesem Beispiel führt die Berechnung nach DIN 18008 mit der Software Glastik Standard zu etwas dickeren Scheiben. Der Grund hierfür ist zum einen die andere Lastkombinatorik, die zu höheren Lasten wegen des Teilsicherheitsbeiwertes führt, und zum anderen die nahezu gleiche zulässige Spannung für diese Glasart, die der höheren Last gegenübersteht.
Fazit
Mit der DIN 18008 wird Glas als Bauprodukt ingenieursmäßig bewertet. Die komplexe situative Berechnung nach der DIN 18008 erfordert meist die Nutzung von Statiksoftware. Je nachdem, wer diese anwendet, handelt es sich beim Ergebnis entweder um eine Glasdimensionierung oder eine Glasstatik. Jedes verglasende Unternehmen ist bau- und/oder zivilrechtlich verpflichtet, eine geeignete, also statisch korrekt ermittelte Verglasung auszuführen. Es muss eine Berechnung vorgelegt werden, aus der sich ein Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweis ergibt, auch wenn ggf. eine Ausnahmeregelung besteht. Die Berechnung ist Bestandteil der Verglasungsleistung und auf Verlangen vorzulegen, um die Leistung vergütet zu bekommen — für den Ausführenden also ein Muss.