Auf der Walz zur Corona-Zeit
Drei Einheimische berichtenMarvin Winder, Lukas Nelkenbrecher und Thomas Fink sind Schmiede und waren mehrere Jahre auf der Walz. Was sie motivierte loszuziehen, welche Erfahrungen sie auf ihren Reisen prägten und wie sie die Auswirkungen der Pandemie auf eine Gesellenwanderschaft einschätzen, davon erzählen sie in folgendem Beitrag.
Marvin Winder war vier Jahre lang als Schmied auf Wanderschaft. „Wenn man in seinem Handwerk weiterkommen und von der Welt was sehen will, war es für mich logisch, auf Walz zu gehen.“ Ein befreundeter Tischlermeister vermittelte dem Schmiedegesellen aus der Nähe von Kiel den Kontakt zum Schacht der Fremden Freiheitsbrüder. Kurze Zeit später, das war 2014, wurde Marvin, der sich wie alle Wandergesellen duzen lässt, von einem Exportgesellen „losgebracht“. Was das bedeutet, erklärt er: „Ein Exportgeselle schaut, was man für ein Typ ist, ist man nett, freundlich, aufgeschlossen? Er füllt einen auch einmal richtig ab, um zu kucken, was passiert.“ Die neuen Wandergesellen lernen von den erfahrenen, wie man trampt, das Gepäck packt, wie und wo man einen Schlafplatz findet und wie man sich Fremden gegenüber verhält. Zunächst war Marvin sechs Wochen mit dem Exportgesellen durch Deutschland hin- und hergereist. Nach bestandener Probezeit bekam er seine „Ehrbarkeit“, einen roten Schlips, der ihn als vollwertigen Freiheitsbruder definiert. Ab diesem Moment durfte er für mindestens drei Jahre und einen Tag nicht mehr nach Hause kehren; außerdem gilt bei der Walz ein Bannkreis von 50 Kilometern um den Heimatort. Je nach Schacht dürfen die Wanderburschen auch nur eine bestimmte Dauer bei den Betrieben bleiben. Alles ist möglich bis sechs Monaten; das Mindeste sind in der Regel zwei Wochen. Es gibt wandernde Burschen und Frauen auf der Walz. Die trifft man aber immer noch eher selten an.
Grenzenlose Freiheit
Sie laufen und trampen alleine, zu zweit oder in Gruppen, sind unterwegs ganz ohne Handy und je nach Arbeitslage mit wenig oder ganz viel Geld. In den so genannten Buden treffen die Wandergesellen sich, dort kann man schlafen und sich mit anderen fürs gemeinsame Reisen zusammentun. Marvin ging nach der Probezeit jedoch alleine weiter, ins Allgäu zog es ihn. Eine kleine Schmiede nahm ihn auf, er war ihr erster Wandergeselle überhaupt. „Wir hatten unglaublich viel Spaß. Es war ja eine Art Kulturschock, wenn der Meister in seinem Dialekt geredet hat und ich im Gegenzug ein bisschen plattdeutsch geschnackt hab“, sagt Marvin und lacht dabei. Die Walz hat den Schmiedegesellen, der heute in einer Schlosserei in Mölln arbeitet, in den folgenden Monaten und Jahren in insgesamt 18 Länder Europas, Asiens und Afrikas geführt.
Eine besonders schöne Begegnung hatte Marvin beispielsweise in Namibias Hauptstadt. Ein Mann sprach ihn auf der Straße an, in breitestem Leipziger Dialekt, das wunderte ihn. Wie sich herausstellte, hatte dieser in Deutschland seine Ausbildung gemacht. Menschlich wie beruflich hat die Walz den jungen Schmied, wie er sagt, sehr viel weitergebracht: So machte Marvin nach den Wanderjahren seinen Meister, und „obwohl wir Schüler alle gleich alt waren, merkte ich, dass ich ihnen handwerklich ein bisschen überlegen war. Ich hatte viel mehr gesehen, viel mehr Wege erlernt, wie man etwas angehen kann, hatte viel mehr Ideen und Anreize als jemand, der vielleicht nur in seiner Firma gearbeitet hat.“ Für das Schweizer Landesmuseum in Zürich hatte der Wanderbursche etwa eine 250 Jahre alte Pforte nachgebaut. Sehr gerne denkt er auch an die Zeit zurück, als er im Erzgebirge in einer Hammerschmiede von 1846 verweilte und dort für das Haus zur Goldenen Waage in Frankfurt 400 Jahre alte Fenstergitter nachgeschmiedet hat.
Einheimischer gründet eine Schmiede
„Ich wollte Schmied werden, noch mehr lernen. Meine Ausbildung zum Metallbauer in der Fachrichtung Metallgestaltung hat mir persönlich nicht gereicht“, sagt Lukas Nelkenbrecher, der in der Nähe von Naumburg die Burgenlandschmiede betreibt. Der heute 33-Jährige begab sich von 2013 bis 2017 mit dem Schacht der rechtschaffenen fremden und einheimischen Maurer und Steinhauergesellen auf Wanderschaft; die Vereinigung nimmt seit den 1990ern auch Metaller auf. Auf Walz zu gehen sei eine Entscheidung, die er nie bereut habe: „Die Vorstellung, gleich nach der Ausbildung im Betrieb zu arbeiten, das hat mich abgeschreckt.“
Jede Vereinigung hat ihre eigenen Bräuche und Strukturen, und so bestanden Lukas‘ erste Wochen darin, sich regelmäßig mit wandernden Gesellen und Einheimischen, also jenen, die einst auf Walz waren, zu treffen. Danach ging er einfach los, wie er sagt, mit allen Rechten, allen Pflichten. „Ich hab mich am Anfang ein bisschen einsam gefühlt und erst mal meinen eigenen Weg finden müssen.“ Nach einem Vierteljahr fühlte er sich in seinem neuen Leben aber angekommen. Es ging also weiter, die Welt wartete auf ihn.
Drei Kontinente, sieben Länder
Lukas arbeitete in über 20 Firmen, bereiste dafür drei Kontinente und sieben Länder, von Schottland bis Namibia. Eigentlich waren sie auf dem Weg nach Brasilien, da entdeckten Lukas und sein damaliger Reisekamerad das Arbeitsgesuch eines Farmers in Chile. Jener bezahlte den Flug, Kost und Logis für die vereinbarten drei Monate waren frei. 60 Stunden in der Woche schufteten die beiden, reparierten Maschinen, schlugen Holz und trieben die Rinder auf die Weide. Er und sein Kollege erlebten Vulkanausbrüche und Ascheregen, Dürre und Waldbrände. Noch nie war Lukas einer lebensbedrohlichen Gefahr so nah.
Ein andermal hielt sich der Wanderbursche in Schottland auf. Bei dem Gedanken daran kommt er heute noch ins Schwärmen: „Wir waren zu sechst, eine sehr lustige Truppe. Wir haben zusammen ein Haus gebaut.“ Den zweiten Teil seiner Reise auf der Insel verbrachte Lukas in einer abgelegenen, idyllisch gelegenen Schmiede. Als einziger seiner Truppe dort nahm er sich die Zeit und experimentierte viel mit dem Stahl. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste Lukas, dass er in naher Ferne seine eigene Werkstatt gründen würde. „Auf der Walz“, sagt er, „habe ich gemerkt, wie es ist, wirklich konsequent als Schmied zu arbeiten. Und ich habe gelernt, mich in das Material Stahl einzudenken. Dieses tiefe Verständnis hatte ich davor nicht.“ Nach der Rückkehr 2017 machte Lukas in Göppingen seinen Meister und erfüllte sich 2019, nach einem Arbeitsaufenthalt in Kanada, mit der Burgenlandschmiede seinen Traum.
Willkommen in Transsilvanien!
Thomas Fink kommt ursprünglich aus Sigmaringen, lebt aber seit einigen Jahren im rumänischen Sibiu/Hermannstadt. Dort leitet er die Schmiede eines Schweizer Vereins zur Förderung von Roma-Kindern. Im Alter von 23 Jahren hatte Thomas ein Studium begonnen und war in den Semesterferien mit einem Freund über die Alpen gelaufen. Das begeisterte ihn damals so sehr, dass er sich kurzerhand entschloss, auf die Walz zu gehen. Wie Lukas auch nahmen ihn die rechtschaffenen fremden und einheimischen Maurer und Steinhauergesellen in ihrer Mitte auf. Durch die Projekte der Casa Calfelor in Sibiu ist der gelernte Schlosser, wie so viele Wandergesellen, zum ersten Mal nach Rumänien gekommen. Und sozusagen hängengeblieben. Seiner Heimat blieb Thomas fünf Jahre fern, und auch heute kommt er nur sporadisch zurück nach Deutschland.
Corona — nurmehr erschwerte Bedingungen
Wie die Walz in pandemischen Zeiten funktioniere, will die Redaktion metallbau von ihm wissen. Thomas antwortet: „Gesellen sind im Krieg und in Zeiten von Hungersnöten gereist. Ich glaube, jeder, der heute unterwegs ist, hat es im Vergleich dazu noch immer ziemlich gut.“ Klar ist: Reisen funktioniert in einer Pandemie generell unter erschwerten Bedingungen. Nichtsdestotrotz, so Thomas, seien gerade erst zwei Wanderburschen bei ihm gewesen. Diese befanden sich auf dem Landweg nach Indien. Vor Kurzem seien außerdem zwei Gesellen von der Nordsee bis ans Schwarze Meer geschippert, Thomas lernte auch diese beiden kennen. Wieder andere machten vor drei Monaten bei dem Einheimischen einen Zwischenstopp, sie reisten über Bulgarien in die Türkei; ein netter Grenzbeamter und ein Schlupfloch im Grenzzaun halfen ihnen dabei.
Die Gesellenkluft, gibt Thomas zu bedenken, mache alle Wandergesellen äußerlich zwar gleich. Doch habe jeder seine eigene Persönlichkeit. Und deshalb „igelten“ sich die einen in Ausnahmesituationen vielleicht eher „ein“ und verlängerten beispielsweise ihre Aufenthalte bei den jeweiligen Betrieben. Andere kann aber auch ein Virus nicht davon abhalten, weiter unterwegs zu sein. Schwierig für die wandernden Gesellen war in den letzten Monaten sicher, dass die regelmäßigen Treffen der Schächte nicht stattfanden und dass die Möglichkeiten, zu trampen und eine neue Arbeits- und Schlafstätte zu finden, eingeschränkt waren. Denn wenn hierzu schlichtweg keine Gelegenheit gegeben ist, weil man auf der Straße kaum oder wenig Menschen trifft? Zum Glück haben viele Einheimische ihre eigenen Werkstätten und nehmen, wie in „normalen“ Zeiten, die wandernden Brüder und Schwestern immer gerne auf.
Info & Kontakte
Burgenlandschmiede
Lukas Nelkenbrecher
Dorfstr.9
06721 Meineweh
OT. Pretzsch
lukasnelkenbrecher@burgenlandschmiede.de
www.burgenlandschmiede.de
Casa Calfelor
Piaţa Huet Nr. 3
550182 Sibiu
România
casacalfelor@posta.ro
www.casacalfelor.ro
Repp GmbH
Am Sauerborn 9
61209 Echzell
Tel: 06008-930020
info@metall-repp.de
www.metall-repp.de
Schmiede Woggon
Peter Woggon
Heidestraße 29
01734 Rabenau
Tel. 03504-614300
post@schmiede-woggon.de
https://schmiede-woggon.de
Nachgefragt
Nicht jeder Handwerksbetrieb öffnet sich für Wandergesellen. Katja Pfeiffer hat bei zwei Schmieden nachgefragt - bei Metallgestaltung Repp in Echzell und der Schmiede Woggon in Karsdorf. Beide Inhaber wurden bislang nicht enttäuscht!
"Wir hatten schon drei Wandergesellen in unserem Betrieb. Den letzten habe ich zufällig auf der Straße aufgesammelt,“ erzählt Alexander Repp, Geschäftsführer von Repp Metallgestaltung aus Echzell. „In der Regel trifft man ja auf Zimmerleute. Weil er aber Schlosser war, passte das perfekt.“ Der Wanderbursche befand sich auf dem Weg nach Norwegen; geplant war der Zwischenstopp in dem beschaulichen Ort nördlich von Frankfurt deshalb nicht. Seine 14 Tage Aufenthalt bei Repp reichten aber allemal aus, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
„Auch wenn ich weiß, wie es ist, einen Wanderburschen aufzunehmen, bin ich jedes Mal von Neuem begeistert“, so Repp. „Es ist toll, so jemanden im Betrieb zu haben. Jemand, der die Strapaze und Entbehrung einer Wanderschaft auf sich nimmt, hat auch ernsthaft Interesse am Beruf.“ Von der Anwesenheit des freien Gesellen profitiert der gesamte Betrieb. Denn Repp merkt: Die leidenschaftliche Art und positive Ausstrahlung der Tingelbrüder übertragen sich auf die eigenen Mitarbeiter. Außerdem gäben Wanderbrüder ihren Kollegen auch gerne mal den ein oder anderen Kniff weiter, den sie sich in den unterschiedlichen Werkstätten angeeignet haben. Neben dem Fachlichen plaudere man natürlich auch über das Leben auf der Walz an sich. Denn mal ehrlich: Wer will nicht wissen, was es alles aus der Welt der Wanderburschen zu berichten gibt?
Die Einarbeitung in Repps Betrieb dauerte nicht lange, zumal der Wandergeselle schon eineinhalb Jahre unterwegs gewesen war. Doch ganz egal, wer als nächstes in Kluft an die Tür von Repp Metallgestaltung klopfen wird: Aufnehmen wird der Meister diesen immer. Die Abläufe sind routiniert und eingespielt: Zuerst wird er den Neuen ein paar Mal auf Montage mitnehmen. Danach geht’s an die Arbeit an Maschine und Werkbank. Übrigens: Auch der Sohn von Alexander Repp, der seine Ausbildung zum Metallgestalter in Göppingen abschließt, überlegt nun nach bestandener Prüfung auf Wanderschaft zu gehen.
Schmiede Woggon
In der Karsdorfer Schmiede Woggon wird seit jeher Steinmetzgeschirr hergestellt, so nennt man das Werkzeug der Steinmetze. 1979 gründete Altmeister Willi Woggon den Betrieb, den er Anfang 2019 an seinen Sohn Peter übergeben hat. Zu den festen Mitarbeitern der beiden Woggons gesellte sich im März 2020 für vier Wochen ein weiterer dazu: Vitus, gelernter Steinbildhauer aus Niederbayern und Fremder Freiheitsbruder, seit anderthalb Jahren auf Walz durch Deutschland und die weite Welt. Ins sächsische Karsdorf verschlug es ihn, weil er wissen wollte, von welcher Hand und an welchem Amboss sein Geschirr gehauen wird. Der Juniorchef erinnert sich gerne an seine erste Begegnung mit ihm: „Ein Freund rief mich an und sagte, er habe jemanden auf der Straße getroffen, es sei eine Überraschung für mich. Als ich dann in der Werkstatt ankam, wartete da ein Mann meines Alters mit schwarzem Zylinder, Kluft, Stenz und Charlottenburger auf mich.“ Der sagte sogleich sein Sprüchelchen auf, ein kurzer Blick und ein Handschlag: Vitus blieb.
Wie Ying und Yang habe man sich ergänzt, berichtet der Jungmeister. Den Steinmetzgesellen wies er in das Schmiedehandwerk und die Beschaffenheit der Eisen ein, er selbst ließ sich von dem Wanderburschen über Steine unterrichten. Gemeinsam habe man am Amboss, am Schmiedefeuer oder an der Werkbank gestanden; Lernen und Arbeiten gingen in solchen Situationen Hand in Hand.
Zur Handwerkerehre gehört, dass ein Wandergeselle Kost und Logie frei hat. So ist das auch bei der Familie Woggon in Karsdorf. Schließlich hatte schon der Altmeister einmal einen Wanderburschen in der Schmiede aufgenommen. Das war 2005. Damals wie heute wurden die beiden Schmiede nicht enttäuscht. Im Gegenteil: „Vitus war für unseren Betrieb eine große Bereicherung“, sagt Peter Woggon und ergänzt: „Jeder Kollege und jede Kollegin sollte einem Wandergesellen Arbeit und Bleibe anbieten, egal aus welchem Gewerk er kommt. Sie können sicher sein, dass er ein rechtschaffener Mensch und Handwerker mit Herzblut ist.“