Der Drachenschmied
„Sehen, dass etwas Schönes entsteht.“Kunst und Handwerk sind für Lukas Nelkenbrecher eins; schön und funktional müssen seine Schmiedewerke sein. Eine Gelegenheit, diesen Anspruch unter Beweis zu stellen, bot sich dem ehemaligen Wandergesellen (siehe metallbau Ausgabe 7-8/2021) und Meister der „Burgenlandschmiede“ während der Coronazeit. Für einen Dudelsackspieler aus Naumburg schmiedete er zwei Drachen, die über dessen wertvolle Instrumente wachen.
Der Mann mit der schwarzen Schiebermütze weist auf das Türgitter eines Gartenhauses, das zwei Drachenköpfe ziert. „Die Aufgabe war natürlich cool“, sagt er. „Genauso hat mich aber auch der Ort hier inspiriert“ und lässt seinen Blick über den wild-bunten Garten schweifen, in dem die Hütte steht und der zu einem Gründerzeitbau in Naumburgs Innenstadt gehört.
Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 hatte sich der Besitzer des Anwesens, ein Dudelsackspieler, für seine wertvollen Instrumente und mittelalterlichen Sammlerstücke im Garten eine kleine Holzhütte aufgestellt. Diesen Schatz wollte er nun vor Einbrechern geschützt wissen. Doch statt sich im Baumarkt zu bedienen oder einen Schlosser zu kontaktieren, machte er sich auf, den 33-jährigen Lukas Nelkenbrecher zu finden. Eine alte Visitenkarte und die Ahnung, bei dem ausgebildeten Metallgestalter und ehemaligen Wandergesellen das Richtige zu finden, führten ihn ins 14 Kilometer entfernte Meineweh, genauer gesagt in den Ortsteil Pretzsch. Dort betreibt der junge Meisterschmied seit 2019 eine Werkstatt, die er als Hommage an die Region „Burgenlandschmiede“ nennt.
Ein Wikingermotiv
„Eine genaue Vorstellung, wie das Gitter sein sollte, hatte mein Kunde nicht. Nur, dass es etwas Verrücktes sein müsse, etwas, das zu seinem Faible für das Mittelalter passt“, erinnert sich Lukas Nelkenbrecher und fährt fort, von der ersten Begegnung mit dem Dudelsackspieler zu sprechen. Im Raum stand da zunächst die vage Vorstellung eines Wikingermotivs. Doch alsbald kamen die beiden auf folgende Idee: So trugen Wikingerschiffe zur Abschreckung der Feinde am Bug ein Drachenhaupt. Warum nicht also ein solches Motiv wählen, zumal es einem durchaus gängigen Stilmittel entspricht? „Es handelt sich hier um nichts anderes als eine Groteske, also eine fantastisch gestaltete Darstellung eines Tiermotivs, wie man sie aus der Antike und Renaissance kennt“, sagt der Metallgestalter und erzählt, wie es mit dem Entwurf des Gitters weiterging. Aus einem Stück Knete, die er in seiner Werkstatt verwahrt, um Kunden aus dem Stegreif Ideen zu präsentieren, fing er an, eine drachenähnliche Figur zu formen. Ein paar Feinheiten hier und dort, und der Prototyp für die „Wächter der Dudelsäcke“ war geboren.
Durchgehende Linienführung
„Bewacht“ wird die Hütte in dem Naumburger Garten von zwei dieser Fabelwesen – spiegelsymmetrisch auf der Doppeltür angeordnet, blicken sie einander und auch ihre Betrachter aus zwei hohlen Augen an. Die beiden Drachenfiguren bilden jeweils ein großes S und sind eingelassen in ein Gitter aus horizontalen und vertikalen Stäben. An den Schnittpunkten von Grundkonstruktion und Freiform befinden sich entweder die Befestigungspunkte des Drachens, oder aber die Stäbe sind unterbrochen und treten somit optisch in den Hintergrund.
Der Burgenlandschmied erläutert sein Konzept: „Wichtig war mir, der Figur eine durchgehende Linienführung mit Schwung und Gegenschwung zu geben. Alle auf den Drachen weisenden Gitterstäbe haben Spitzen. Das soll heißen: Halt, Drache! Du bist gefangen!“ Die Botschaft lässt sich aber auch so umdeuten, dass die Monster, dem Zweck des Einbruchschutzes folgend, Unbefugten das Weitergehen verwehren. Dazu passend steht das Maul des Fabeltiers weit offen. Schamlos zeigt es seine scharfen Zähne, sodass man meint, man werde von ihm angefaucht. In gleicher Machart wie das Drachengitter sind auch die Fenstergitter konzipiert. Damit sie nicht zu statisch wirken, hat Lukas Nelkenbrecher ihre Gestalt durch zwei versetzt angeordnete, sternenförmige Öffnungen aufgelockert. Zusammen mit dem Drachengitter ergibt sich so ein harmonisches Gesamtbild.
Trotz der verspielten Machart, beteuert der Schmied, habe er darauf geachtet, dass das Stahlwerk seine Funktion erfüllt. Gefertigt ist es demnach so, dass es sich nur mit äußerster Kraftanstrengung entfernen oder zerstören lässt. Außerdem wurde das Eisen verzinkt und beschichtet, damit es der Witterung dauerhaft standhält.
Intensität und Rhythmus werden Form
Aus den Bleistiftskizzen, die der Metallgestalter aus Pretzsch für seine Entwürfe anfertigt, werden im Anschluss Eins-zu-Eins-Zeichnungen, die die Grundlage seiner Schmiedearbeit bilden. Der Faktor Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. „Für den Entwurf des Gitters“, sagt er, „habe ich bestimmt einen ganzen Tag gebraucht. Ich bin erst fertig, wenn ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.“
Das Gleiche gilt, wenn der Metallgestalter mit Amboss und Hammer zugange ist. Das erste Werkstück landete in der Tonne, weil es laut seinem Erschaffer eher einem Dinosaurier als einem Drachen glich. Dass aber selbst einem Meister Fehler unterlaufen, gehört seiner Ansicht nach zum kontinuierlichen Lern- und Arbeitsprozess dazu. „Manchmal steckst du da nicht drin“, sagt er und verrät, worauf er achtet, wenn er am Schmiedefeuer steht: „Es kommt auf den Schlag an. Das Schmieden ähnelt dem Spielen eines Instruments. Nur wird aus der Intensität und dem Rhythmus keine Melodie, sondern eine Form.“
Schmieden, eine Leidenschaft
Erfahrungen mit Feuer und Eisen sammelte Lukas Nelkenbrecher schon in seiner Jugend; als 15-Jähriger bastelte er sich zur Freude seiner Eltern aus einem Autoreifen und einem Staubsauger seine erste eigene „Schmiede“. Von einem befreundeten Schmied ermutigt, schlug er ein paar Jahre später mit der Metallbauer-Ausbildung der Fachrichtung Metallgestaltung den professionellen Weg des Schmiedehandwerks ein. Danach ging Lukas Nelkenbrecher auf Wanderschaft, bereiste auf drei Kontinenten sieben Länder und kehrte mit einem Bündel voll Wissen und Lebensweisheit nach vier Jahren und drei Tagen heim. In Göppingen machte der Einheimische, so heißen die zurückgekehrten Wandergesellen, anschließend seinen Meister. Nach einem kurzen Abstecher nach Kanada kaufte er nahe seinem Heimatort in Pretzsch die alte Dorschmiede und richtete darin seine „Burgenlandschmiede“ ein. Ob er den Schritt in die Selbstständigkeit bereue? Der Handwerksmeister verneint. Trotz Corona habe er genug Aufträge – selbst der MDR und die lokale Tourismus-Behörde berichteten schon über ihn.
Lukas Nelkenbrecher schmiedet Kunstgegenstände, Grabkreuze, Handläufe, Messer und auch mal eine Schäferschippe. Weil ihm die Arbeit aber in den vergangenen Monaten über den Kopf gestiegen war, stellte er vor kurzem einen Lehrling ein. Der junge Mann, der für diese Ausbildung extra aus Berlin in den Burgenlandkreis gezogen ist, entlastet ihn nun bei Routinearbeiten wie das Maschineeinrichten, aber auch bei profanen Aufgaben wie dem allabendlichen Werkstattaufräumen. Nur die Büroorganisation muss der 33-Jährige, der neben seinem Schaffenswerk auch Kurse für interessierte Laien gibt, selbst erledigen. „Am liebsten mag ich, wenn ich in Ruhe vor mich hinarbeiten kann und sehe, wie aus dem glühenden Material langsam, aber stetig etwas Schönes wird.“
Info & Kontakt:
Burgenlandschmiede
Lukas Nelkenbrecher
Dorfstraße 9
06721 Meineweh/OT Pretzsch
Tel. 0152 541 629 44
lukasnelkenbrecher@burgenlandschmiede.de
www.burgenlandschmiede.de