Ehemalige Weberei in Kempten
Stahllösungen für den DenkmalschutzAuf dem Areal der ehemaligen Weberei und Spinnerei in Kempten ist in den vergangenen drei Jahren ein Wohn- und Arbeitsquartier entstanden. Der letzte Baustein, die Sheddachhalle mit 46 Miet-Loftwohnungen, wird bis Ende Mai fertiggestellt. Hierzu wurde u.a. die historische Dachkonstruktion aus Stahl abgebaut und nach der Sanierung wieder montiert. Start-ups finden seit Juni 2017 im Gründerzentrum „Allgäu Digital“ in der ehemaligen Schlichterei Platz. Für die Fenster der denkmalgeschützten Ziegelbauten kamen Stahlprofilsysteme von RP Technik zum Einsatz, die der Duracher Betrieb Gast anfertigte und einbaute.
Dass aus der ehemaligen Weberei und Spinnerei an der Iller einmal ein Prestigeobjekt fürs Wohnen und Arbeiten entstehen würde, kann Kempten sicherlich als Glücksfall verbuchen. Heftige Diskussionen gingen der jüngsten Sanierung der in Backstein errichteten Fabrikhallen voraus. Zwischen 1852 und 1882 erbaut, wurde der Komplex in Kriegszeiten für die Rüstungsindustrie zweckentfremdet. Ab den 1990er-Jahren stand die Anlage, zuletzt wieder als Weberei genutzt, endgültig still. Die eigentlich denkmalgeschützte Bausubstanz verfiel zusehends.
Quartier zum Leben und Arbeiten
Seit 2016 ist aus der einstigen Industrieanlage nach den Entwürfen der ortsansässigen Architekten Hagspiel Stachel Uhlig schrittweise ein attraktives und nach denkmalpflegerischen Prämissen aufwändig restauriertes Quartier entstanden. Zuletzt fertiggestellt wird die Sheddachhalle; erhalten blieb von ihr der südliche Teil. Darin integriert sind 46 Miet-Loftwohnungen. Der Bezug der zwischen 50 und 128 Quadratmeter großen Einheiten erfolgt ab dem späten Frühjahr 2019.
Dem Wohnprojekt vorausgegangen war die Sanierung und Umnutzung der ehemaligen Schlichterei. Dieser rund 400 Quadratmeter große Backsteinbau beheimatet seit Juni 2017 temporär das Gründer- und Veranstaltungszentrum „Allgäu Digital“, eine Ideenschmiede für Jungunternehmen und Start-ups aus der Region.
Sanierungsleistung durch Gast
Ziel der Sanierungen war es, den historischen Charakter der Anlage und ihrer Bauten so weit wie möglich zu bewahren. Dies ist den Verantwortlichen gelungen: Neben den Planern und Behörden sind das der Auftraggeber, die Sozialbau Kempten, sowie die ausführenden Unternehmen, insbesondere der im nahen Durach ansässige Stahl- und Metallbaubetrieb Gast. Seine Leistungen umfassten die Restaurierung der Dachkonstruktionen der Sheddachhalle mit einem Auftragsvolumen von rund 440.000 Euro sowie die Konstruktion und Montage neuer Fenster an Gründerzentrum und Halle mit 350.000 Euro. Des Weiteren im Arbeitsauftrag enthalten waren die Erneuerung der Lichtkuppel des Gründerzentrums sowie das Herstellen von Lüftungszargen und Glaselementen für die Tiefgarage mit einem Volumen von gesamt 115.000 Euro.
Die Arbeiten am Gründerzentrum schloss der Metallbauer im Juli 2017 ab. Mit der Demontage der Stahlbinder der Sheddachhalle begann er im Mai 2017. Abgeschlossen wurden die Arbeiten an Dach und Fenstern in diesem Mai.
140 Tonnen Stahl in Einzelteilen
Die historische Stahlkonstruktion des Hallendaches besteht aus Fachwerkbindern und Gussstützen; sichtbar sind sie heute in den Lofts und im Innenhof des Wohnkomplexes. „Die Binder sind raumprägende Konstruktionen. Mit deren Restaurierung blieb der Industriecharakter dieser eindrucksvollen Architektur erhalten“, berichtet der Geschäftsführer Hubert Gast. Die Dachkonstruktionen haben seine Mitarbeiter komplett abgebaut, in lauter Einzelteile zerlegt, diese katalogisiert und einzeln sandgestrahlt. Daraufhin ließ man die Elemente beschichten und baute sie schließlich an ursprünglicher Stelle korrekt und kratzfrei wieder auf. Insgesamt bewegte das Duracher Unternehmen so 140 Tonnen Stahl.
Abgenommen wurden die Fachwerkträger mit einem Baukran. Das ging ohne Probleme vonstatten. Die Konstruktionen wieder einzubauen, gestaltete sich hingegen deutlich schwieriger: Aufgrund der Tiefgarage unter der Halle ließ sich ab einem gewissen Zeitpunkt kein schweres Gerät mehr aufstellen. Die Dachelemente wurden daher über Minikräne und Hubarbeitsbühnen montiert. Im Schnitt waren hierfür vier Mann auf der Baustelle.
Rundbogenfenster & Oberlichtkuppel
Der zweite große Auftragsanteil beinhaltete den Austausch der alten Rundbogenfenster am Gründerzentrum und an der Sheddachhalle mit jeweils 12 bzw. 46 Elementen an der Zahl. Die neuen Fenster basieren auf dem thermisch getrennten Stahlprofilsystem RP-Iso-Fineline, das sich durch extrem schlanke Profile bei gleichzeitig hohen Wärmedämmeigenschaften (Uw bis 0,82 W/m2K) auszeichnet. Die Ansichtsbreiten der feststehenden Rahmenkonstruktion betragen 40 Millimeter bzw. 60 Millimeter an den Türflügeln, bei einer Bautiefe von 70 Millimetern. Insgesamt sind die Fensterflächen 1.500 Millimeter breit und bis Oberkante Rundbogen 4.000 Millimeter hoch.
Das Aufmaß der Fensterelemente erfolgte händisch. Hierfür fertigte der Metallbauer aus gebogenen Vierkantrohren Schablonen an. Gast berichtet: „Anhand der Schablone haben wir möglichst viele baugleiche Fenster fertigen können. Es gibt acht verschiedene Fenstermaße. Toleranzen haben wir mit einem Sockel ausgeglichen. Für das Aufmaß brauchten zwei Mann zwei Tage. Jetzt haben wir uns aber einen 3D-Laserscanner angeschafft!“
Auch die Oberlichtkuppel des Gründerzentrums wurde im Zuge der Sanierung durch den Duracher Betrieb erneuert. Die neu gefertigte Dachkonstruktion erhielt eine thermische Trennung im System RP-tec 55.
Unterstützung vom Hersteller
Unterstützung erhielt der Metallbauer von der Firma Chr. Ufer aus Landau in der Pfalz. Diese ist als Generalvertretung von RP für Süddeutschland tätig. Für das Projekt in Kempten lieferte sie dem Metallbauer die fertigen Konstruktionszeichnungen und leistete Hilfestellung bei der Fertigung, sofern es nötig war. „Für uns war das Bauen in der Denkmalpflege absolutes Neuland. „Wir hatten früher schon einmal von verschiedenen Herstellern Stahlfenster gefertigt und auch noch nie Kundenreklamationen dazu gehabt. Ich selber war aber mit der Qualität der Konstruktionen nie zufrieden, weil man die Schweißstellen nach der Lackierung immer noch gesehen hat. In der Zwischenzeit wurden die Maschinen weiterentwickelt, und die zur Verfügung stehenden Schleifmittel sind besser geworden. Bei dem Projekt ehemalige Spinnerei hat alles hundertprozentig funktioniert, sodass auch ich sagen kann, dass die Fenster super geworden sind“, so Gast.
Zwei bis vier Mitarbeiter fertigten die Fenster. Eingewiesen hatte sie vor Beginn der Bauaufgabe ein Techniker des Herstellers. Dieser kam für zwei Tage in den Betrieb und stellte mit ihnen gemeinsam einen Prototyp der Fenster her. Die Rundbogenprofile vergab Gast an ein auf das Biegen spezialisiertes Subunternehmen, das ihnen wiederum vom Hersteller-Vertreter empfohlen worden war.
Bauen im Denkmalschutz
Bauen an denkmalgeschützter Substanz ist gerade in der Ausführung mit Unwägbarkeiten verbunden. Mit diesen musste sich auch der Metallbauer aus Durach auseinandersetzen. Bei der Position Dach habe er sich daher mit dem Auftraggeber darauf einigen können, einen Großteil der Arbeiten auf Regie laufen zu lassen. Mit seinen Berechnungen lag Gast am Ende richtig, wie er meint. Einkalkulierte und veranschlagte Kosten seien jedenfalls deckungsgleich.
Ein gewisses Risiko habe auch bei der Auftragsposition Fenster bestanden: Diese habe sich, so der Metallbauer, nur gelohnt, weil man hierfür beide Bauabschnitte übernommen habe. Bei lediglich zwölf Elementen für das Gründerzentrum hätte der Betrieb nicht rentabel arbeiten können. Der Geschäftsführer sagt: „Man muss mindestens 25 Fenster in Auftrag haben, damit sich ein solches Projekt auch lohnt.“
Regional verwurzelter Metallbauer
Gelernt hat der Mittelständler aus dem Sanierungsprojekt unter anderem, dass man „sich auch was trauen und aus der Komfortzone herausbewegen“ kann. Und das hat Gast bewiesenermaßen drauf. Doch fest verwurzelt mit der Heimat ist der Allgäuer Metallbaubetrieb auch: So habe er kurz nach Fertigstellung des Gründerzentrums zwei weitere Anfragen in Zusammenarbeit mit RP Technik erhalten. Weil die Projekte aber im Raum München seien, habe man, obwohl verlockend, schließlich abgewinkt. „Wir bedienen zunächst einmal die Stammkunden im Umkreis“. Und davon hat Gast Stahl- und Metallbau momentan offensichtlich genug.
Info & Kontakte
GAST Stahl- und Metallbau GmbH & Co. KG
Karlsberger Straße 9
87471 Durach
Tel. 0831 561344 0
info@gast-stahlbau.de
www.gast-stahlbau.de
Bautafel:
Objekt: Ehemalige Spinnerei und Weberei in Kempten
Bauherr: Sozialbau Kempten Wohnungs- und Städtebau, Kempten
Architekt: Hagspiel Stachel Uhlig, Kempten
Verarbeiter: Gast Stahl- und Metallbau, Durach