Stahl besser vibrieren

Eine alternatives Verfahren zum Glühen

Konstruktionen aus Stahl oder Gusseisen können durch eine Vibrationsbehandlung von Eigenspannungen befreit werden – eine Methode, die nicht nur sehr umweltfreundlich und materialschonend, sondern auch deutlich kostengünstiger ist als das Spannungsarmglühen. Die VSR Industrietechnik bietet die Vibrationsbehandlung seit Jahrzehnten an und kommt jetzt mit einem System auf den Markt, dem die hochgenaue Modalanalyse zu Grunde liegt.

Plastische Verformungen durch Prägen, Drücken, Biegen und thermische Einwirkungen zum Beispiel durch Schweißen führen in Werkstücken zu teils starken Eigenspannungen, die wiederum Verzug und schlechte Maßhaltigkeit bedingen. Auch Gusswerkstücke sind durch ungleichmäßige Abkühlzonen davon betroffen. Eigenspannungen erschweren nicht nur die Weiterbearbeitung, sie können auch die Festigkeit der Bauteile reduzieren und sind vor allem bei Präzisionsbauteilen kontraproduktiv. In der Vergangenheit wurden Eigenspannungen überwiegend durch Tempern oder Spannungsarmglühen reduziert beziehungsweise beseitigt.

Das Unternehmen VSR Industrietechnik aus Duisburg geht seit über 40 Jahren andere Wege und nutzt die Vibrationstechnologie. Zunächst wurden in der Produktion Vibrationsanlagen aus den USA eingesetzt. 1975 brachte VSR ein erstes eigenes Gerät auf den Markt, damals mit manueller Bedienung und Auswertung. Im Jahr 2000 vollzog man einen Technologiesprung: das System Vibmatic 6000 generiert die notwendigen Behandlungsfrequenzen mittels Fourieranalyse vollautomatisch. Seit Kurzem gibt es mit der Vibmatic 8000 nun die sechste Gerätegeneration, welche die Vibrationsfrequenzen mithilfe präziser Modalanalyse berechnet und mittels Vibrationsmotor erzeugt.

Ideal für große Stahlbauteile

„Im Vergleich zum Spannungsarmglühen bietet die Vibrationsbehandlung eine ganze Reihe Vorteile. Es geht wesentlich schneller, spart Kosten und Transportaufwand und ist besonders umweltfreundlich. Durch den geringen Energieverbrauch können die viel diskutierten CO2-Emissionen um mehr als 90  Prozent gesenkt werden“, erläutert Geschäftsführer Dr.-Ing. Christian Körling. Beim Spannungsarmglühen muss das Werkstück stets aus dem Produktionsprozess ausgeschleust und zu einem Glühofen transportiert werden, der gegebenenfalls auch bei einem Dienstleister steht. Die Wärmebehandlung findet zwar immer unterhalb der Vergütungstemperatur des Werkstoffes statt, d.h. zwischen 450 und 500°C, aber die Aufheiz- und besonders die Abkühlprozesse müssen sehr genau kontrolliert werden, damit keine Gefügeveränderungen auftreten. Besonders große Bauteile erfordern besonders großen Energieeintrag und können für manchen Glühofen auch überdimensioniert sein. Außerdem folgt einer Wärmebehandlung in der Regel ein Entzunderungsprozess, der wiederum Zeit in Anspruch nimmt. Damit steht ein weiterer Vorteil der Vibrationsbehandlung fest: Das Werkstoffgefüge bleibt unverändert, was besonders bei vergüteten Stählen sehr wichtig ist.

Eine Vibrationsbehandlung kann unmittelbar am Werkstück und direkt im Produktionsprozess durchgeführt werden. Sie dauert durchschnittlich eine Stunde, nur sehr selten sind eine zweite oder dritte Behandlung erforderlich (siehe Infokasten). Das Verfahren eignet sich für sämtliche herkömmlichen Stähle, einschließlich Edelstahl. Je härter das Material, umso besser. Nicht geeignet ist das Verfahren bei weichen Werkstoffen wie zum Beispiel Kupfer, Messing, Aluminium und weiche Aluminiumlegierungen. Auch bei kalt gezogenen oder kalt gewalzten Stählen ist das Vibrationsverfahren nicht anwendbar. „Dieses Material ist oftmals zu sehr plastifiziert, da können wir nichts machen“, sagt Körling.

Wissenschaftlich nachgewiesen

Die Entwicklung des aktuellen Steuer- und Messsystems zur Vibrationsbehandlung, Vibmatic 8000, wurde von einer umfangreichen Forschungsarbeit in Kooperation mit dem Institut für Maschinenelemente von Prof. Dr. Jacobs an der RWTH Aachen begleitet. Die Aufgabenstellung „Simulation der Eigenspannungsreduzierung von Bauteilen durch Vibrationsentspannung“ wurde mithilfe der Finite-Elemente-Analyse durchgeführt. Dabei wurden die Entstehung thermischer Eigenspannungen beim Schweißen sowie die Methode der Vibrationsanalyse zur Reduzierung von Eigenspannungen wissenschaftlich untersucht. Außerdem wurde die VSR-Vibrationsbehandlung simuliert und mit dem Spannungsarmglühen verglichen. Das Ergebnis: Beide Verfahren verringern den Eigenspannungszustand im Bereich der Schweißnaht deutlich. Bei der VSR-Behandlung nehmen die Zugspannungen quer und senkrecht zur Schweißnaht durch eine Verdrehung des Spannungstensors zwar zu, in Nahtrichtung ist die Reduzierung der Eigenspannungen bei der VSR-Behandlung jedoch größer. Für das Spannungsarmglühen ergeben sich in allen Richtungen geringere Spannungskomponenten. Jedoch ist der Effekt hinsichtlich der Vergleichsspannung geringer als bei dem VSR-Verfahren.

Fazit

Spannungsarmglühen punktet vor allem bei kleineren bis mittelgroßen Werkstücken aus unvergüteten Stählen und bei weichen Werkstoffen wie Kupfer, Messing und bestimmten Aluminiumlegierungen. Die VSR-Vibrationsbehandlung hingegen ist ideal bei sehr großen, auch massiven Werkstücken sowie vergüteten Werkstoffen und speziellen Gefügen und spart viel Zeit, Energie und damit Kosten. Aktuell ist allerdings bei einem Gewicht von 100 Kilogramm bis maximal 200 Tonnen die Grenze erreicht. Für kleinere Bauteile bis zu einem Kilogramm Gewicht ist es ratsam, diese gebündelt auf einem Vibrationstisch zu fixieren und gemeinsam zu vibrieren.

Etliche Referenzen, insbesondere in der Automobilindustrie und verschiedenen Technologiekonzernen, belegen die Praxis-tauglichkeit des Verfahrens.Das Steuerungs- und Messsystem VSR Vibmatic 8000 kostet ca. 45.000 Euro. Für Unternehmen, die immer wieder Bauteile mit Eigenspannungen behandeln müssen, amortisiert sich diese Investition laut Christian Körling in kurzer Zeit. Betriebe, die das Verfahren nur ab und zu benötigen, können bei VSR Industrietechnik die Vibrationsbehandlung als Dienstleistung in Anspruch nehmen. Einerseits ist das direkt in Duisburg vor Ort möglich und andererseits bietet VSR an, zum Kunden vor Ort zu kommen.

Es gibt bundesweit einige  Unternehmen, die einen solchen Service anbieten. Namen und Adressen können bei VSR Industrietechnik angefragt werden. Wer sich ein Gerät anschaffen möchte, wird in einer Schulung fit gemacht. „Spezialwissen ist nicht erforderlich, das Handwerkszeug vermitteln wir an einem Tag“, betont Körling und ergänzt: „Ein gelernter Schlosser kann das Verfahren problemlos beherrschen.“

Info & Kontakte

VSR Industrietechnik GmbH
Am Alten Schacht 6
D-47198 Duisburg
Tel. 02066 9966 30

www.vsr-industrietechnik.de

Schneider Werk St. Wendel GmbH & Co. KG
Essener Str. 6
66606 St. Wendel
Tel. 06851 9316 0

www.schneider-werk.de

Südstahl GmbH & Co. KG
Industriestr. 2
86690 Mertingen
Tel. 09078 802 0

www.suedstahl.de

Nachgefragt beim Anwender

Südstahl in Mertingen und Schneider Werk in St. Wendel

Als Anwender hat die Redaktion metallbau Peter Birkner, Technischer Leiter bei Südstahl in Mertingen, interviewt sowie Diana und Christoph Schneider, die Prokuristin und der Geschäftsführer des Schneider Werks in St. Wendel.

metallbau: : Welche Bauteile behandeln Sie mit dem VSR-Verfahren?

Birkner: Wir setzen das Verfahren auf Kundenwunsch bei Schweißbaugruppen mit einem Stückgewicht von 0,25 bis 20 Tonnen aus Baustahl ein.

Diana Schneider: Bei uns handelt es sich in erster Linie um Konstruktionen aus S235 und S355, die aus Blechen und Trägern geschweißt sind. Die erste größere Schweißkonstruktion, die mit dem VSR-Verfahren von uns behandelt wurde, war ein sogenannter Roboterstahlbau für den VW-Konzern mit einer Länge von acht Metern.


metallbau:  Seit wann nutzen Sie das VSR-Verfahren und warum?

Birkner: Das Verfahren wird seit 2010 bei Südstahl genutzt. Wir verwenden ein Modell der 6000er Baureihe. Vorteile sind die geringeren Kosten durch geringeren logistischen Aufwand, die Zeitersparnis und niedrigere Betriebskosten als beim Glühen.

Christoph Schneider: Das Verfahren nutzen wir seit August 2011 mit der Baureihe Vibmatic 6000. Audi bestand damals im Hinblick auf Kostenreduktionen darauf, Bauteile nur noch zu vibrieren. Eine umfangreiche Untersuchung bei Audi zwischen Teilen, die entweder geglüht oder vibriert wurden, ergab keine Unterschiede bei der anschließenden mechanischen Bearbeitung. Seitdem gibt der VW-Konzern zur Spannungsreduzierung die VSR-Vibrationsbehandlung vor und akzeptiert keine anderen Verfahren. Mit Vibmatic können die Kosten – abhängig vom Teilegewicht – um bis zu 75 % gesenkt werden.

metallbau: Welche alternativen Verfahren könnten Sie für Ihre Bauteile noch nutzen?

Birkner: Uns sind keine weiteren Alternativen als das Spannungsarmglühen bekannt.

Diana Schneider: Die einzige Alternative ist das Spannungsarmglühen.

metallbau:  Für welche Anwendungen sehen Sie besondere Vorteile mit der VSR-Vibrationsbehandlung? Warum?

Birkner: Wir sehen Vorteile bei inhomogenen Schweißbaugruppen mit sehr unterschiedlichen Materialquerschnitten. Das VSR-Verfahren ist eine bauteilbezogene Behandlung und damit auf das jeweilige Werkstück abgestimmt.

Christoph Schneider: Insbesondere für Stahlbaukonstruktionen aus hochfestem Feinkornbaustahl ab S500, wie sie für tragende Teile oft Vorschrift sind, ist die Vibrationsbehandlung ideal, denn durch das Glühen würde das Gefüge seine Eigenschaften verlieren. Auch für Bauteile mit sehr großen Dimensionen, die in keinen Glühofen passen, ist das Verfahren bestens geeignet.

metallbau: Für welche Bauteile können Sie das VSR-Verfahren nicht einsetzen?

Birkner: Sehr kleine Bauteile sind aufgrund der Größe der Vibrationsanlage nicht geeignet.

Diana Schneider: Es ist weniger die Anwendung als vielmehr die Skepsis mancher Kunden, die dem Verfahren gegenüber noch immer zurückhaltend sind.

Die Vibrationsbehandlung zur Spannungsreduktion

Die sechste und jüngste Gerätegeneration zur Vibrationsbehandlung trägt den Namen VSR Vibmatic 8000 und basiert auf der Modalanalyse. Zum Gerätesystem gehören ein Modalhammer mit Stativ, ein Erregermotor mit variabel einstellbarer Unwucht, ein Satz Schraubzwingen zur Befestigung des Motors, zwei Beschleunigungssaufnehmer mit entsprechenden Befestigungen sowie eine PC-basierte Steuerung mit Tastatur, Anzeigemonitor und zwei USB-Schnittstellen zur Dokumentation der Ergebnisse.
Bei der Vibrationsbehandlung mit Modalanalyse wird das Bauteil mit einem Modalhammer an einer definierten Stelle mit einer definierten Kraft angeschlagen. Der triaxiale Beschleunigungsaufnehmer wird in einer bestimmten Entfernung zum Vibrationsmotor und dem Modalhammer positioniert. Der monoaxiale Beschleunigungsaufnehmer dient der Überwachung der Reichweite der Beschleunigung und wird somit weit entfernt vom Vibrationsmotor positioniert. Die Steuerung wertet dies aus und initiiert den Erregermotor, der das Bauteil anschließend vibriert. Dabei ermittelt die Steuerung die optimalen Behandlungsfrequenzen. Danach wird das Bauteil wieder mit dem Hammer angeschlagen sowie die ankommende Beschleunigung gemessen und ausgewertet. Das Protokoll einer Vibrationsbehandlung veranschaulicht die die Wirksamkeit der Vibrationsbehandlung in einem Balkendiagramm. Findet keine Veränderung der Frequenz mehr statt, werden gleichhohe Balken angezeigt und die Behandlung ist erfolgreich beendet. Anschließend kann das Protokoll gedruckt oder als PDF gespeichert werden. „Pro Vibrationsbehandlung haben wir fünf Behandlungsschritte á zehn Arbeitsfrequenzen zu je einer Minute. Das bedeutet eine maximale Behandlungsdauer von 50 Minuten pro Behandlung“, rechnet Produktmanager Dennis Bremer vor. Hinzu kommen ca. 10 bis 15 Minuten Rüstzeit. Mit einer Behandlung können in der Regel Bauteile bis zu einem Gewicht von drei Tonnen spannungsreduziert werden. Für besonders schwere oder überdimensionale Bauteile ist eventuell eine zweite oder eine dritte Vibrationsbehandlung nötig. „Ob weitere Behandlungen notwendig sind, ist am Behandlungsprotokoll abzulesen“, ergänzt Bremer. Die sich ändernden Frequenzwerte sind ein Indiz dafür, dass sich die Eigenspannung des Bauteiles verändert, denn die Schwingungen gehen quasi viel leichter durch das Bauteil als ohne Vibrationsbehandlung. Durch die Vibration verliert der Werkstoff seine inneren Spannungen und das Bauteil verliert seine kritische Neigung, sich bei der weiteren Bearbeitung zu verziehen. Ulrike Hensel

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